Es ist nun an der Zeit für das ultimative Haß- und Vernichtungsstück gegen all diejenigen Besserwisser in den eigenen Reihen, die gleich einer Sittenpolizei argwöhnisch jede Tätigkeit der Mitstreiter auf ihre politische Korrektheit überprüfen und überwachen und schließlich maßregeln, wenn sie in ihre Vorstellung nicht hineinpassen, denke ich nach der Lektüre des Edmundīschen Vernichtungsstücks in der Szenezeitschrift "Tierbefreiung aktuell", und scharre wütend und begeistert mit den Hufen in der Tastatur, während ich mich daran erinnere, wie es Stefan und den Leuten der animal peace-Aktionsgruppe Düsseldorf gelungen war, in einer beispiellosen Aktion bei Privatleuten in wenigen Tagen über 10000 Mark an Lösegeld aufzutreiben, um Wickie und Duncan, zwei vom Tode durch Metzgershand bedrohte Hochlandrinder aus einem rheinländischen Dorf, vor der Vernichtung und Verwurstung zu bewahren.
Die Lösegeldübergabe gelang, der Erpresser in Gestalt eines Rinderzüchters gab die Geiseln heraus und fortan sollten diese erstmal ein unbedrohtes Leben auf nordrhein-westfälischen Weiden und auf nordsee-nahen Marschwiesen führen dürfen.
Die Zeit verging, aus Kälbern wurden Stiere. Und Frühling warīs. Wie sollīn wir es beschreiben? Eine niedersächsische Schönheit mit braunen Augen und langen Wimpern lockte mit ihren Reizen von einer nahen Weide. Wickie fiel in Liebes-taumel. Die Leidenschaft des feurigen Schotten verzückte indes leider nur die niedersächsische Kuh.Ihr gemeinsames Glück war nur von kurzer Dauer. Der Halter aber, Skalvenhalter sind grausam, der wollte für die Liaison den Kopf von Wickie. Auch Wickies Betreuer konnten der blinden Wut nicht Einhalt bieten dieses Mannsbildes. Oh, Menschlichkeit, wie sollīn wir Dich bewaren, was fangen wir an mit liebestollen Stieren?
In Kürze und ganz prosaisch: Der Metzger drohte Wickie und Duncan so nun schon zum zweitenmal. Das Hirn des leidenschaftlichen Rindes sollte nach der geplanten Hinrichtung gar auf den Wahnsinn hin untersucht werden, denn die "unnormale" Lust am Leben eines freien Stiers erschien den menschlichen Kennern gebrochener Tiere wohl auch als eine Form des Irrsinns.
Wickie und Duncan, als freie Stiere unerwünscht in einem Land verklavter Tiere, mußten eine weitere Reise antreten. Mit dem schmerzlichen Verlust ihrer Männlichkeit nur konnten sie sich das Recht auf überhaupt ein Leben im Sklavenhaltungsland erkaufen. Nun befinden sie sich auf der vierten Station ihres verfolgten Daseins in einem recht- und gesetzlosen Land für Tiere. Viel Aufwand und ein happy end für zwei Stiere, die unverschämtes Glück gehabt haben in einer Zeit der absoluten Chancenlosigkeit für Tiere. Und die trotzdem oder gerade deshalb jeden Anspruch auf maximalenAufwand und das maximale Glück nur haben können.
Es steht nun, denke ich und scharre eifrig weiter, ein ultimativer Liquidierungsbeitrag gegen diese Kaffeehausrevolutionäre an, die mit glühender Feder an den letztgültigen Richtlinien für den unbedingt korrekt geführten Kampf für die Befreiung der Tiere schreiben, sich aber nie mit den konkreten Einzelschicksalen konfrontieren lassen. Und aus genau diesen setzen sich die Opfer des ganzen "tierquälerischen Establishments" nunmal zusammen.
Schmerzlich fühle ich mich an einWerk des Bertold Brecht erinnert. In seinem Theaterstück "Die Maßnahme" beschreibt Brecht den Fall eines jungen Genossen, der mit vier weiteren kommunistischen Agitatoren in China revolutionäre Propaganda betreiben soll. Die unter ihrem tyrannischen Aufseher schwerstarbeitenden Reiskahnschlepper erregen das Mitleid des Jungen, der sich daraufhin für besseres Schuhwerk für die Arbeiter einsetzt, um ihnen damit momentane Erleichterung zu verschaffen. Die Agitatoren sehen darin eine politische Verfehlung, eine Sabotage ihres Auftrags, der in der Befreiung der Arbeiter und nicht in der Linderung von Leid bestünde. Sie verurteilen den Genossen dafür und erschießen ihn schließlich wegen seines Mitleids und ähnlich gelagerter "Fehler".
Karl Kraus prägte in diesem Zusammenhang den Begriff vom "immoral sanity", der unmoralischen Vernunft, wenn Gefühl und Verstand einander unvereinbar, nämlich antimonisch gegenübergestellt werden als metaphysische Gegensätze. Und dann jede emotionale Regung als unvernünftig verurteilt wird.
Der Freikauf von Wickie und Duncan war emotional motiviert. Er erfüllte nie einen politischen Anspruch. Den Impuls gab die herzliche Freundschaft zu zwei freundlichen Tieren, ein Akt aus der Ohnmacht und dem ohnmächtigen Wunsch heraus, helfen zu wollen um jeden Preis. Weil das Leben auch eines Rindes jeden Preis wert, nämlich unbezahlbar ist. Wer diesen Impuls von Menschlichkeit und Moralität der Theorie von Befreiung und Klassenkampf unterordnet, der muß sich dann schon die Frage gefallen lassen,. ob es wirklich die emotionale Betroffenheit ist, die ihn zur Aktion und Handlung drängt, oder ob es nur der Kampf ist, der zählt, getreu dem Motto: Wer für Tierrechte kämpft, hat von allen Tugenden nur die eine: daß er für die Tierrechte kämpft.
Offenbart sich da nicht schon wieder eine diese unmenschlichen Verrennungen verschiedendster "Ismen", überlege ich weiter und schlage rasend in die Tasten: Eine tiefe Gemeinschaft zwischen uraltem Katholizismus, Kommunismus und eben derartigem Tierrechtsverständnis, nämlich die unbedingte Rechtgläubigkeit durch das Setzen von Dogmen, die dann nicht mehr in einem kritischen Sinn diskutiert werden können? Hier hat der unrüttelbare Glaube an die gesetzten Maßregeln die Übermacht über jede menschliche Regung, über jede individuelle Erwägung, jede emotionale Beziehung oder Handlung. Alles wird dem Heilsgedanken untergeordnet und kalter, mechanischer Disziplin zum Opfer gebracht.
Das Individuum verschwindet hinter den Interessen des politischen Kampfes. Die Wortwahl von Edmund, durchzuckt mich der Gedanke, ist wohl nicht zufällig gewählt, wenn er im Text zwei namhafte Tiere, Wickie und Duncun, zu zwei schottischen Hochlandrindern anonymisiert, bis er sie dann in der Masse der Millionen geschlachteten Rinder gänzlich verschwinden läßt. Die Persönlichkeit wird ausgelöscht. Das ist kälteste Tierrechtsphilosophie in die steinerne Form eines Dogmas gepreßt. Das Dogma, um jeden Preis die Theorie als Selbstzweck zu verfechten.
Ob Edmund und seine gleichgesinnten Kämpfer es wohl auch von Ann-Marie Scherer abverlangt hätten, der Lösegeldforderung von 30 Millionen Mark für eine ihr emotional nahestehende Person, nämlich ihren Mann Jan-Phillip Reemtsma, nicht nachzukommen, weil dadurch das Verbrechersyndikat gestützt würde? Weil sie damit Unsummen in den Rachen von Kriminellen werfen würde, die sich dann "die Hände vor lauter Schadenfreude reiben werden"?
Eine absurde Vorstellung. Und eine absurde Forderung, wenn Schaden abgewendet werden soll von einer akut lebensbedrohten Person. Egal, ob Mensch, ob Rind. Auch wenn der Gedanke in der Tat schmerzlich ist, daß "irgendwelche Kerle das Geld auf den Bahamas verjuxen, wo man hätte viel Gutes damit tun können." (J.P. Reemtsma in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung).
Freikäufe von Geiseln sind übrigens nicht nur legitime Handlungen von Privatpersonen, die ihre bedrohten Angehörigen retten wollen. Sie sind auch gängige Praxis der internationalen Politik. Es sind dies Akte der Humanität, keine politischen Aktionen. Wie bei Wickie und Duncan. Auch wenn letztere wie alle anderen Freikäufe zur politischen Aktion gemacht werden können und auch sollten, weil dadurch Individuen aus einer anonymen Masse herausgelöst werden und das schafft Nähe, Sympathie und Betroffenheit. Viel mehr, als mit nackten Zahlen zu operieren.
Den Schaden haben Wickie und Duncan und alle anderen freigekauften Tiere und Menschen jedenfalls nicht gehabt. Und das zählt
Besteht aber nicht für uns, und das ist die zweite Edmundīsche Aussage, die moralische Verpflichtung zum Opfern einiger weniger Tiere zugunsten vieler (tatsächlich ist es ja das Opfern für eine möglicherweise verbesserte Chance für viele), wenn beispielsweise die Geldmittel für den Freikauf von Wickie und Duncan in die Ausstattung der Tierbefreier und autonomen Tierrechtler investiert würden, die damit dann viel mehr Tiere befreien oder tierverwertende Infrastrukturen zerstören könnten? Alles andere wäre "ethisch nicht mehr vertretbar"! Meint Edmund.
Die Rechtsphilosophie bietet mit einem Denkspiel den Studienanfängern im Strafrecht einen kleinen Einblick in die Grundsätze unseres Rechtssystems. Konstruiert wird folgendes Fallbeispiel: Durch einen Weichenstellungsfehler rast ein D-Zug unaufhaltsam auf eine Gruppe von zwanzig Gleisarbeitern zu. Ein Weichensteller hat allerdings noch die Möglichkeit, den Zug auf ein Nebengleis umzuleiten, wo nur ein einziger Gleisarbeiter arbeitet.
Ist dies nun das moralische Gebot an den Weichensteller, einen Gleisarbeiter zu opfern, um möglicherweise 20 Gleisarbeitern das Leben zu retten? Oder, abstrakt formuliert: darf eine Politik einzelne Personen preisgeben im Interesse vieler? Und darf die Philosophie der Tierrechte es erlauben, die Forderung zu stellen, Individuen aufzugeben um der großen Gemeinschaft der Tierheit einen größeren Dienst zu erweisen?
Die Antwort ist eindeutig: In unserer demokratischen Gesellschaft erzeugt die soziale Ethik des Konsenses ein Gleichgewicht zwischen Individualität und Sozialität, zwischen den Rechten des Individuums, und dem was der Gesellschaft nützt. Während die Politik in der Regel darauf abgestimmt ist, mit ihren Entscheidungen der größten Anzahl von Menschen den größten Nutzen zu bringen, wird dies durch den Respekt vor dem Individuum beschränkt. Unsere Ethik umgibt das Individuum mit Schutzzäunen, um es davor zu bewahren, im Bemühen um das allgemeine Wohl oder das Wohl der Mehrheit nicht unterzugehen. Diese Schutzzäune sind Rechte. Sie dürfen auch für das Wohl anderer nicht verletzt werden, und seien es noch so viele. Einsprechend darf der einzelne Gleisarbeiter nicht "geopfert" werden, auch wenn dies viel mehr Gleisarbeitern das Leben retten würde.
So eine bewußte, aktive Tötung zum Wohle vieler Menschen läßt allerdings die "Ethik" totaliärer Regime zu, sie fordert sie sogar in ihrem Selbstverständnis, wenn sie von Individuen das Opfer ihres Lebens, ihrer Freiheit, ihrer Unversehrtheit abverlangt zum "Wohle des Volkes". Eine ebenso totalitäre Ethik ist es, die Opferung zweier Hochlandrinder zu fordern zum "Wohle der Tiere oder gar der Tierbefreier".
"Man kauft Pohlmann keine Tiere ab, auch nicht den Hunderttausend anderen kleinen Pohlmanns", lese ich zornig und denke, daß das wohl schon die kriminelle Dreistigkeit des Totalitarismus ist, die ich da entkerne. Und daß es wohl doch kein Haß- und Vernichtungsstück in letzter Konsequenz geworden ist, was ich so motiviert begonnen habe. Aber statt dessen, denke ich, will ich nicht Scheindebatten ins unerträgliche verlängern und meine Wutanfälle und Ausbrüche des Gewissens beschränken auf das Wesentliche. Und will den Schluß denn auch anders formulieren:
Man pinkelt Leuten nicht ans Bein, die sich ernsthaft bemühen, Tieren in Not beizustehen und die Lage der Tiere zu verbessern. Und schon gar nicht, wenn es ihnen gelingt. Und auch dann nicht, wenn es "nur" zwei Hochlandrinder sind. Und wenn sich Verbrecher schadenfreudig die Hände reiben. Diese Größe sollten wir haben, daß das nicht unser Problem ist.
Wäre der Beitrag geschrieben worden in der ernsthaften Sorge darum, daß regelmäßige Freikäufe bei einer Quelle tatsächlich einen Markt schaffen könnten, und damit das Elend der Tiere vergrößert werden würde, wie etwa beim Exotenhandel; Wäre der Beitrag eine Mahnung gewesen, den Fall "Wickie und Duncan" zu wenig öffentlichkeitswirksam genutzt zu haben - im Interesse der anderen, die noch zum Schlachter geführt werden. Wir hätten ihn mit klarem Verstand und brennendem Herzen unterschreiben können.
Wenn aber Tierrechtler mit den Injurien der Tiernutzer und ihrer Fürsprecher jonglieren, von "Auswüchsen" und "überzogenen Aktionen" sprechen wie die Täter und die Mittäter, wenn Tierrechtler ständig nur von Abstrafen der Täter reden und am Verstand von Rinderrettern zweifeln, dann wird die These von den Tierrechten zu Antithese. Dann werden die Forderungen, die zu einer Verbesserung der Lebenssituation von Tieren führen sollten, zum Nachteil der Tiere. Und dann scheint das Wahre, Schöne, Gute vergessen worden zu sein, nämlich das gemeinsame Ziel einer freien Welt für freie Tiere. Und um das zu verwirklichen gibt es wirklich nichts besseres, als Tieren das Leben zu retten. So oder so.
Also, denke ich: kein Wort mehr gegen die Mitstreiter. Augen auf, Klappe zu. Irgendwann sind hoffentlich auch die Kinderkrankheiten mal überstanden.
Silke Ruthenberg
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