Die Osterzeit stand bei animal peace ganz unter dem Zeichen des Huhns. Den Auftakt der Kampagne für die Befreiung der Hühner aus der Tyrannei der Hühnerbarone machte die Aktionsgruppe Karlsruhe mit einer bewährten und eindringlichen Aktion: Das Sterben soll publik gemacht werden, wieder und immer wieder. Auch an jenem Samstag, dem 16.März in der Karlsruher Innenstadt.
Die Passanten staunen nicht schlecht, als von allen Richtungen rotbejackte animal peacelerInnen anstürmen. In Windeseile wird roter Stoff auf dem Asphalt ausgebreitet, werden die Transparente entrollt. Aus blauen Müllsäcken wird eine nicht enden wollende Anzahl zerfledderter, zerschundener Hühnerleichen gezogen, denen mann über den Tod hinaus ihre erlittenen Leiden noch ansieht. Endzeit-Szenario. Über dreißig Hühner mahnen für die Verbrechen, die die humane westliche Gesellschaft ihnen und Ihresgleichen angetan hat und weiterhin antut.
Ein Hauch von Verwesungsgeruch zieht über den Platz. Aus einigen Dutzend Kehlen wird kräftig standiert. Schaut her, riecht her, hört her. Mit allen Sinnen gegen das Verbrechen. Viel eindringlicher geht es kaum noch.
Und jeder fandīs schrecklich, natürlich, und keiner wollte Eier aus der Legebatterie kaufen sondern nur "vom Bauern", natürlich, und uns wurde klarer denn je, natürlich, die Massen sind träge, zu träge, um sie wirksam zum Boykott zu bewegen. Es ist das Unglück, daß die Moral erst nach dem Fressen kommt, und deshalb wohl funktioniert die Verdrängung beim Fressen am allerbesten.
Ähnliche Resonanz bei einer entsprechenden Aktion der Aktionsgruppe Ruhrgebiet am Ostersamstag in der Essener Fußgängerzone. Tote, zusammengekrümmte Hühnerleichen, Spruchbänder, aus Lautsprechern verzweifeltes Hühnergeschrei aus einer Legebatterie. "Frohe Ostern" wünschten wir in bitterer Ironie den Passantinnen, die das Schicksal der Hühner nicht erleiden müssen, fürs Osterei mit dem Leben zu bezahlen.
Die Chance: etwa so niedrig wie auf einen Lottohauptgewinn. Doch für 15 Hühner wurde über Ostern das Unglaubliche, Unwahrscheinliche wahr: 3 Millionen Fernsehzuschauer durften Zeugen werden, als sie aus dem KZ befreit werden. Dunkel, kalt und still war die Nacht, als ein Trupp animal peaceīlerInnen im Gänsemarsch über nasse Wiesen und schweren Ackerboden liefen. Immer wieder wehte der Geruch von Ammoniak von einigen unscheinbaren, fensterlosen Hallen übers brachliegende Land. Gedämpftes Hühnergegacker aus hunderttausend Kehlen war leise zu vernehmen.
Lange nach Mitternacht, doch das fahle Licht gedämpfter Glühbirnen brannte noch oder schon wieder. Der barmherzige Schlaf wird den Insassen nur stundenweise gegönnt. Struppige Hühnerkörper, enggepreßt in Gitterzellen, nervöszuckende Köpfe auf nackten Hälsen recken sich zwischen Gitterstäben aus dem Käfig hinaus, von der feuchten Wärme trauriglappige Hühnerkämme hängen über wundgestutzte Schnäbel, verkrüppelte Beine treten auf Leichnamen herum. Hunderte, tausende nervöse Blicke verfolgen uns ängstlich. Die Reizarmut in der Trostlosigkeit der Batterie macht die Tiere schreckhaft. Schnelle Bewegungen lassen sie kreischend vor Angst an die Rückwand der Käfige flüchten, eine Flucht über Zentimeter, mehr gibt der Käfig nicht her.
Fingerdick liegt getrockneter Kot auf den Transportbändern unter den Käfigreihen, die Förderbänder schrubben über Hühnerköpfe in der darunterliegenden Etage. Ob in den Füttertrögen das Tiermehl von vergasten, zermusten männlichen Hühnerküken ist? Schwester ißt Bruder. Der Irrsinn steckt in jedem Detail.
Isys kleines Gesicht ist starr vor Entsetzen. Laura kriecht auf dem Boden einem Huhn entgegen, das auf einer unteren Futterrinne kauert. Irgendwie hatte es sich vor Stunden oder Tagen aus dem Käfig befreien können. Es wird verdursten, wenn Laura es nicht greifen kann. Ich muß an Hans Wollschläger denken, einen der wenigen deutschen Intellektuellen, der Partei nahm für die Rechte der Tiere, und an die letzten Sätze seiner Kampfschrift gegen den Umgang der Menschheit mit der Tierheit: "Eine Menschheit, die sich zur Leistung gegen sich selbst außerstande erklärt, zur utopisch tätigen Hoffnung gegen die Tod, wartet mit Recht auf die Wasserstoffbombe".
Stefan bereitet die Transportkisten vor. Nun soll und muß es schnell gehen. Gitter werden beiseite geschoben, Hände greifen nach Hühnerkörpern und flatternden Flügelstumpen. Huhn um Huhn wird herausgezogen, aus jedem Käfig nur eins, damit der Halter es nicht merkt und gleich auffüllt mit neuen Hühnern.
Verzweifelt wehren sich die Hühner in den Händen, flattern und zappeln. Aber es steckt keine Kraft mehr in den kleinen ausgemergelten Körpern. Nur Knochen und dornige Federkiele sind zu spüren. Manche Hühner weinen wie die Babys. Daniel schiebt die Lade der Transportkiste zu.
120 000 Hühner ließen wir zurück. Mit Krämpfen im Bauch. Das unmittelbare Erleben der eigenen Ohnmacht macht Aktionen dieser Art zu einem kurzfristigen Martyrium auch für uns.
Ab und an besuchen wir Mimmi und die anderen Hühner auf ihrer großen Wiese auf dem Land. Sie finden sich in der Freiheit gut zurecht. Noch sind sie fast federlos und sehen geschunden aus. Aber ihre Augen glänzen. Die Frühlingssonne wärmt ihre vermilbten kleinen Köper beim Staubbaden und Würmerpicken. Auch wenn sie eines Tages keine Eier mehr legen, werden sie weiterhin in ihrer neuen Heimat leben dürfen. Solange sie wollen und können.
Wenige Tage danach wurde in einer Halle der Legebatterie "ausgestallt". So heißt es fachdeutsch. Für die 25.000 ohne Lottohauptgewinn endete der Tag am Förderband der Geflügelschlachterei.
Aktionismus fürs Huhn: In Essen steigen animal peacelerInnen dem REAL-Markt aufs Dach und besetzen die Eierabteilung...
Fotos: animal peace, Kirdorf
Tags darauf Großaktion in Essen. 80 Aktivistinnen und Aktivisten von animal peace treffen sich, um mit Nachdruck nachzulegen. Es ist 12 Uhr, Samstag, Tausende Kunden erledigen letzte Einkäufe in der großen Filiale des REAL-Marktes. Plötzlich und wie eine Erscheinung tauchen auf dem 10 Meter hohen Dach 8 menschengroße Hühner auf. Gleich hängt ein großes Transparent halb über dem REAL-Schild. Stefan, als Küken in vorderster Front, seilt sich fix aufs Vordach ab. Kommandorufe schallen über den Parkplatz. 50 animal peacelerInnen in roten Jacken und in Hühnerkostümen, bewaffnet mit Schildern und Transparenten, eilen durch den Markt. Verblüfft drehen sich Kunden wie Verkäufer nach dem rot-weißen Wirbelwind um.
Ziel: die Eierkartons in der Molkereiabteilung. Hühnergeschrei hallt durch den Markt, AktivistInnen skandieren, andere bekleben die Eierkartons mit den Legebatterieeiern mit entsprechenden Hinweisaufklebern und befestigen großflächige Abbildungen aus Legebatterien an den Preisschildern.
Der stellvertretende Marktleiter und ein Abteilungsleiter eilen verstört herbei. Einer murmelt etwas von einer "überfallartigen Aktion" und "kriminellen Methoden" und will uns in die Legebatterie schicken: "Gehen Sie dort doch demonstrieren..." "Dort sind wir auch!" kontern wir und übergeben ihm ein Schreiben für den Geschäftsführer, der "nicht anwesend" ist. Unsere Forderung und Bitte: Boykott der Legebatterie-Eier durch den REAL-Markt.
Nach einer Viertelstunde verlassen die animal peacelerInnen den Markt so schnell, wie sie gekommen waren und setzen für eine weitere halbe Stunde den Protest vor den Eingangstüren der Filale fort. Ein kurzes Gespräch zwischen Reinhold und dem stellvertretenden Geschäftsführer, dann ist geklärt, daß er keine Anzeige wegen Hausfriedensbruch stellen wird. Man werde überdies unseren Vorschlag überdenken.
Nun denn. Vielleicht schalten aber auch andere Märkte schneller und lassen die Moral nicht weiter im Wartestand hinter dem Fressen verbleiben. Wir jedenfalls lassen die Hühner nie mehr im Stich..
Silke Ruthenberg
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